Konzept & Vision

Multaka: Treffpunkt Museum macht es sich zum Ziel, den interkulturellen Austausch durch die aktive kulturelle Beteiligung von Menschen mit Migrations- und/oder Fluchterfahrung zu fördern.

Das Projekt wurde 2015 vom Museum für Islamische Kunst initiiert, in Kooperation mit dem Vorderasiatischen Museum, dem Bode-Museum und dem Deutschen Historischen Museum. Multaka, arabisch für „Treffpunkt“, stellt Verbindungen zwischen verschiedenen historischen Epochen sowie alten und neuen Orten her, indem es in dialogisch angeleiteten Führungen Begegnungen zwischen Exponaten und einem vielfältigen Publikum schafft. Durch die Anerkennung des eigenen kulturellen Erbes, der Wissens- und Sprachhintergründe sowie die Aneignung konkreter Handlungsspielräumen durch die arabisch- und persischsprachigen Guides trägt das Projekt zu einer Diversifizierung von Narrativen innerhalb von Kultureinrichtungen bei und ermöglicht eine vertrauensvolle und konstruktive Zusammenarbeit mit kulturellen Institutionen. Insgesamt wurden im Rahmen von Multaka Berlin mehr als 30 Guides ausgebildet, von denen 16 Guides bis heute aktiv im Projekt beteiligt sind.

Aus dem Glauben and die soziale und politische Rolle von Kultureinrichtungen heraus entstand das Projekt Multaka inmitten der Debatten, die Flucht, Migration und Vertreibung von hunderttausenden von Menschen im Jahr 2015 und deren Ankunft in Deutschland begleitete. Ausgangspunkt und Ziel des Projekts war es, eine positive und wirksame Rolle auf die Neuzusammensetzung der Berliner Stadtgesellschaft einzunehmen sowie Vorurteilen und überwiegend negativ konnotierten Darstellungen von Migration entgegenzuwirken. Multaka (arabisch für „Treffpunkt“) beabsichtigt Räume für Begegnungen zu schaffen, indem Museen – wortwörtlich – zu einem Treffpunkt werden und mit der aktiven kulturellen Partizipation eine Diversifizierung der Museumsstrukturen zu erreichen. Das Projekt wendet sich an bisher kaum adressierte Gemeinschaften und unterstützt neben der eigenen Sicht auch andere Perspektiven einzunehmen. Darüber hinaus soll es den Austausch verschiedener kultureller und historischer Erfahrungen erleichtern und kulturelle Brücken bauen.

Im Dezember 2015 startete das Museum für Islamische Kunst in Kooperation mit drei weiteren Museen das Projekt. In Zusammenarbeit mit der Abteilung „Bildung, Vermittlung und Besucherservice“ der Staatlichen Museen zu Berlin und der Abteilung „Bildung und Vermittlung“ des Deutschen Historischen Museums wurde ein Schulungsprogramm für die angehenden Guides erarbeitet, welches sich an den Themen der Museen sowie an didaktischen und methodischen Fragen orientiert.

Im Rahmen des Projekts wurden Menschen mit Migrations- und/oder Fluchterfahrung aus Syrien und dem Irak, später (2020) auch aus Afghanistan und dem Iran, zu Museums-Guides ausgebildet, damit diese interaktive Führungen für andere Angehörige der Diaspora in ihrer Muttersprache durchführen können.

Insgesamt wurden im Rahmen von Multaka Berlin etwa 30 Guides ausgebildet, von denen derzeit 16 im Projekt aktiv sind.

„Multaka“ soll als Chance begriffen werden, neue Strukturen der Verständigung und Akzeptanz in einer heterogenen und ethnisch vielfältigen Gesellschaft zu fördern.


Museen als Räume des transkulturellen Dialogs

Durch die Anerkennung des eigenen kulturellen Erbes, der Wissens- und Sprachhintergründe sowie die Aneignung konkreter Handlungsspielräume durch Diaspora-Gemeinschaften, erhofft sich das Museum, ganz unterschiedliche Perspektiven zu präsentieren sowie die Position von Menschen mit Migrations-/Fluchterfahrung im kulturellen Bereich zu stärken. Außerdem beabsichtigt es, eine vertrauensvolle und konstruktive Zusammenarbeit mit kulturellen Institutionen zu ermöglichen und zu einer Diversifizierung der Museumsstrukturen beizutragen, sowohl was das Personal als auch was die Besucher*innen betrifft.

Durch die Ansprache der Besucherinnen und Besucher in einer klaren und zugänglichen Sprache auf Augenhöhe, die sich an alle Altersgruppen richtet, erhofft sich das Multaka- Projekt die kulturelle Teilhabe von Menschen mit unterschiedlichem kulturellem und akademischem Hintergrund zu erleichtern. Die Begegnungen in den Museen aktivieren die Teilnehmenden, soziale und kulturelle Anknüpfungspunkte zu entdecken, und ermutigen sie dazu, aktiv am öffentlichen sozialen und kulturellen Leben teilzunehmen.

Mit dem Zugang zu zahlreichen Veranstaltungen wie Workshops, Vorträgen oder Sonderführungen, werden für Einheimische sowie für Menschen, die neu in Berlin wohnhaft sind, und ganz unterschiedliche biografische Hintergründe besitzen, Angebote geschaffen, um in einen Dialog zu treten und hierüber Anregungen für die Kreation von Kunstobjekten zu erhalten. Auf diese Weise wird von Anfang an eine Sichtweise gefördert, in der kulturelle Aktivitäten und Perspektiven auf historische Ereignisse als Element einer produktiven Freizeitgestaltung und Bereicherung des Alltags in die eigene Lebenswirklichkeit integriert werden.


Diverse Vielfalt

Um der Hegemonie eines einzelnen Narratives über Kunst und Geschichte entgegenzuwirken und neue Besuchergruppen in einer sich ständig wandelnden Gesellschaft zu erreichen, sollten die Kultureinrichtungen maßgeblich dazu beitragen, dass sich die gesellschaftliche Vielfalt innerhalb der Kultureinrichtungen widerspiegelt. Wir müssen die Dinge beim Namen nennen und institutionalisierte Strukturen und Mechanismen sichtbar machen, die intersektionelle Diskriminierung unterstützen. Multaka macht es sich zur Aufgabe, bestehende Strukturen und Denkmuster zu entkräften, indem es diverse Perspektiven zu Wort kommen lässt und gezielt Führungen auf Arabisch und Persisch anbietet. Dies ist nicht zuletzt ein Beitrag zur Zugänglichkeit von Kultur sowie eine klare Aussage, dass sich unsere Gesellschaft aus ganz unterschiedlichen Perspektiven zusammensetzt.

Darüber hinaus bringen die Mitglieder des Multaka-Teams ganz unterschiedliche akademische und berufliche Hintergründe mit, die es ermöglichen, Themen aus verschiedenen Blickwinkeln zu betrachten. Die Multaka-Guides haben u.a. Architektur, Wirtschaft, Recht, Sozial- und Politikwissenschaften, Musik, Kunstgeschichte und Archäologie studiert und/oder arbeiten in diesen Bereichen. Diese Vielfalt sorgt dafür, dass die einzelnen Ausstellungen multiperspektivisch betrachtet werden können.


Brücken bauen über Zeit und Geographie hinweg

Im Mittelpunkt der Führungen stehen die historischen und kulturellen Verbindungen zwischen Deutschland, Syrien, Irak, Iran und Afghanistan. Durch die Darstellung solcher Gemeinsamkeiten und die Einbindung in ein größeres kulturhistorisches, epochenübergreifendes Narrativ besitzen die Museen die große Chance, als Bindeglied zwischen den Herkunftsländern der Newcomer und ihrem neuen Lebensmittelpunkt zu fungieren.

Die vier beteiligten Museen liegen in unmittelbarer Nachbarschaft und decken die Geschichte vom antiken Nahen Osten über Byzanz und die Islamische Zeit bis zur jüngeren deutschen Geschichte ab. So verbinden sie das kulturelle Erbe der Herkunftsländer mit der Geschichte des Einwanderungslandes durch künstlerische und historische Parallelen. Im Dialog und in der Diskussion helfen die Guides den Besucherinnen und Besuchern, die Museen und ihre Objekte zu erkunden und dabei ihre persönliche Perspektive einzubringen und die für sie persönliche Relevanz einzelner Objekte aufzuspüren. Das kostenlose Führungskonzept, die Überwindung von Sprachbarrieren sowie die Begegnung auf Augenhöhe ermöglicht es Tausenden von Menschen, die Museen durch die Multaka Tours zu erkunden.

Die Kulturen im östlichen Mittelmeerraum waren über Jahrhunderte hinweg durch religiös und ethnisch plurale Gesellschaften geprägt, die heute bedroht sind. Museen sind Gedenkstätten einer gemeinsamen Vergangenheit, die ausgestellten Objekte sind Artefakte der Verflechtung und der durch die Jahrhunderte beeinflussten Migration. Diese Artefakte können stellvertretend zeigen, dass Migration weder eine Ausnahme noch eine Anomalie ist, sondern historische Normalität, die unsere Gesellschaft ständig beeinflusst.

In den Führungen werden Fragen rund um die historischen Objekte auf aktuelle Debatten bezogen, um eine Verbindung zwischen Vergangenheit und Gegenwart herzustellen. Dabei beziehen die Guides die Teilnehmenden in den Prozess der Betrachtung und Interpretation der Objekte ein. Auf diese Weise werden die Besucher*innen durch den gegenseitigen Dialog und die Auseinandersetzung mit ihrer eigenen Geschichte zu aktiven Teilnehmer*innen.


Menschen und Konzepte in Bewegung

Das Programm ist äußerst erfolgreich und konnte mehrere tausend Menschen aus unterschiedlichen Communities erreichen. Daneben erzielte das Projekt eine enorme nationale wie internationale Medienaufmerksamkeit. Dieser Erfolg führte u.a. zu fünf verschiedenen Preisen, darunter eine besondere Anerkennung durch die Verleihung des Museums and Heritage Awards London 2018, sowie zur Gründung des Internationalen Multaka Netzwerks im Jahr 2019.

Das Netzwerk besteht aus 29 verschiedenen Museen in Deutschland, Italien, England, der Schweiz, Spanien und Griechenland und hat insgesamt 130 Guides und Kulturvermittler*innen ausgebildet. Darüber hinaus steht das Multaka-Koordinationsteam in ständigem Kontakt mit unzähligen Museen und Kultureinrichtungen, um das Konzept des Projekts europaweit umzusetzen. Eine Ausweitung des Multaka-Projekts auf ganz Deutschland ist geplant. Erste Gespräche mit Aktuer*innen im ländlichen Raum wurden geführt, um die Machbarkeit der Umsetzung in Kultureinrichtungen in der Peripherie zu prüfen.

Durch die Darstellung von Gemeinsamkeiten und die Eingliederung in einen größeren kulturellen und historischen, epochenübergreifenden Zusammenhang haben Museen die Möglichkeit als Verbindungsglied zwischen den Herkunftsländern der Geflüchteten und den Gast- bzw. neuen Heimatländern zu funktionieren und einen Bedeutungskontext für ihr Leben hier zu kreieren. Doch es gibt viele Stories die überall und nicht nur auf der Museumsinsel funktionieren:

  • Migration: kein Objekt in unserem Museum existiert ohne Migration – jedes Objekt ist ein Ausdruck von transregionaler Verbindung und Migration: der Austausch von Techniken, Gedanken, Mustern, Moden und Ideen ist die Basis jeder Kultur. Kein Objekt und kein Thema in unserer Gesellschaft kann durch geschlossene kulturelle Weltbilder erklärt werden. Woher kommt Eisen? Oder woher kommt das Alphabet? Wie sieht es mit Papier, Schießpulver, dem Telefon oder der Jeans aus? Wie mit Musik und Speisen? Kein einziger Faden unserer Kleidung ist nur Deutsch, Syrisch und Britisch etc. Objekte sind Träger von Migration.
  • Geteiltes Erbe: die Geschichte des Austausches zwischen Europa und dem Nahen Osten hilft uns zu verstehen, dass keiner von uns ohne den anderen so wäre, wie er ist. Die Liste aus dem Mittleren Osten ist lang: Wissenschaft, Philosophie, keramische Techniken wie Lüster oder Blau-Weiß, Papier, das Schachspiel, die arabische Laute al-Oud als Mutter der Gitarre (Ohne die Oud kein Jimmy Hendrix oder John Lennon) etc. Die Liste der anderen Seite ist genauso lang. Interaktion durch Handel und Krieg entlang der Kulturautobahnen der Seidenstraße oder des Mittelmeers prägten unsere Gesellschaften. Viele kulturelle Realitäten sind verwoben und beide Seiten des Mittelmeeres waren formgebend füreinander über Jahrhunderte.
  • Parallele Geschichte: was ist unsere gemeinsame historische oder menschliche Erfahrung? Die Geburt unserer Kulturen aus der Spätantike oder die dramatischen Lebensver-änderungen im 19. und 20. Jh. sind Entwicklungsphasen, die eng miteinander verknüpft sind. Wir sind nicht gleich, aber wir sind verbunden. Die globale Moderne prägt uns alle: die japanische Produktion des schweizerischen Kinderbuchs Heidi verfolgten Kinder in Syrien und Deutschland quasi simultan. Parallele und gemeinsame Erfahrung erlauben darüber hinaus Schwerpunktthemen auf der Metaebene, wie Liebe, Krieg, Tod, Gefühle, soziale Ordnung, Geschlechter etc.
  • Kontaktzonen: Personen und Orte historischer und kultureller Verbindungen zwischen Deutschland, Syrien und Irak. Austausch von der Zeit Karl des Großen und Harun al-Raschid, dem Staufer Friedrich II. und Sultan Kamil bis zu Wilhelm II. und Abdülhamid II.; Orte des islamischen Erbe Europas: Sizilien, Spanien und der Balkan. Kontaktzonen waren höfische Kultur entlang des Mittelmeeres im 12. und 13. Jh., Venedig und der Handel mit dem Mittleren Osten, die Kreuzzüge als Kulturtransfer etc.

Lesen Sie mehr über das Multaka-Konzept von Prof. Dr. Stefan Weber (Direktor des Museums für Islamische Kunst).

Multaka – Konzept und Projektbeschreibung

Ein Projekt von

 

 

Projektförderer

 

 

FMIK e.V.